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Vom Messdiener zum spanischen Luchs

Aktuell verweilen unsere Spieler Marius Kopfmann und Julian Hauser im Rahmen eines Erasmus-Jahres im spanischen Sevilla und konnten natürlich auch dort dem besten Teamsport der Welt nicht fernbleiben. Beide spielen in der aktuellen (Winter-)Saison bei den Sevilla Linces. Julian hat uns einen Bericht über die bisherige Footballzeit in Sevilla gesendet, in dem er uns Einblicke in den spanischen Football gewährt und einen Vergleich mit der deutschen Szene hier in Südbaden zieht.
Mi equipo - Mi familia
von Julian Hauser
Es ist nicht zu bestreiten, dass American Football in Deutschland gerade absolut im Trend ist. Auch ich bin diesem Trend im letzten Jahr gefolgt und habe angefangen bei den Freiburg Sacristans zu spielen. Doch wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus? Nach meiner Rookie-Saison als Cornerback habe ich im Rahmen meines Studiums die Chance bekommen für ein Jahr nach Spanien zu gehen. Meiner Leidenschaft für diesen Sport folgend, spiele ich nun für die "Sevilla Linces" (= "Luchse") und kann mir so ein eigenes Bild von der Situation des Footballs in Spanien machen.
Die Linces wurden 1992 als erstes Team in Andalusien gegründet und blicken somit auf eine ähnlich lange Geschichte zurück wie die Sacs in Freiburg. Es folgten einige erfolgreiche Jahre in den obersten zwei spanischen Ligen, bis es vor einigen Jahren aufgrund von wirtschaftlichen Problemen und einer Ligareform in die dritte spanische Liga ging. In dieser nach Regionen aufgeteilten Liga spielt die Mannschaft noch heute. Und obwohl es noch nicht deutsche Ausmaße annimmt: auch hier gab es dieses Jahr einen großen Zuwachs an Spielern. Der Trend geht also nach oben!
Schon beim ersten Training im September, das auf einem Baseballplatz stattfand, fielen mir direkt große Unterschiede zum Football "daheim" auf. Gespielt wird mit neun anstatt mit elf Spielern. Hierbei macht es keinen Unterschied ob man zum Herrenteam gehört, auch Jugendspieler und einige Mädchen trainieren mit. Es gilt also grenzübergreifend: Football ist ein Teamsport für jedermann, egal welches Alter oder welche körperlichen Voraussetzungen die Spieler haben.
Ein weiterer offensichtlicher Unterschied: das Wetter. Während sich die Freiburger Teamkameraden in der Offseason der eisigen Kälte an der Dreisam stellen müssen, lässt es sich hier bei angenehmen Temperaturen im T-Shirt trainieren.
Im Laufe der Zeit stieß ich auf große Verwunderung, da ich meine eigene Ausrüstung per Paket aus Deutschland erhalten habe. Hier bekommt jeder seine Ausrüstung vom Verein gestellt. Die ist dann zwar etwas veraltet, aber anders wäre es in Andalusien, dem ärmsten Teil Spaniens wohl kaum möglich ein funktionierendes Football-Team auf die Beine zu stellen, es fehlt in der Bevölkerung schlichtweg das Geld.
Ganz gemäß dem Klischee fangen natürlich die meisten "Entrenamientos" (=Trainings) mit Verspätung an und es wunderte mich nicht wirklich, dass eine allgemeine Gelassenheit zu spüren war, egal ob beim Aufwärmen oder was den Ablauf des Trainings betrifft. Hier ruft niemand "No walking!" auf dem Weg zur Trinkpause oder zur nächsten Übung. Man macht sich hier im tiefen Süden eben weniger Stress. Und wenn ich ehrlich bin, kann so ein bisschen Ruhe auch nicht schaden, nur übertreiben sollte man es nicht, damit das Training seinen Sinn und Zweck nicht verliert. Dazu muss gesagt sein, dass es auch in Spanien nicht einfach ist Coaching Personal aufzutreiben. Die Coaches machen ihren Job auch hier nebenbei und haben kaum professionelle Erfahrung. Der Versuch einen mexikanischen Defense Coordinator zu engagieren scheiterte katastrophal. Bei dessen Einreise nach Spanien wurde er aufgrund fehlender Papiere festgenommen und wieder in sein Heimatland abgeschoben. Darüber hinaus ist jede Position Group wie auch in Freiburg auf Spielercoaches angewiesen.
Nichtsdestotrotz ging es nach einer kurzen Vorbereitungszeit von circa sechs Wochen zum ersten Spiel in Almería. Abfahrt zum Spiel: 3 Uhr nachts. Es kam wie es kommen musste und so konnte es erst losgehen, nachdem der letzte Spieler um kurz vor vier Uhr eintrudelte. Nun gut, dann warten wir eben. Sich aufregen oder gar einfach losfahren? Fehlanzeige bei den Spaniern.
An diesem Novembertag hagelte es dann bei angenehmen 27 Grad unter der Mittelmeer-Sonne eine kräftige Niederlage. Das Ergebnis von 41:8 täuscht allerdings. Die Ansätze haben gestimmt, aber einige wenige Big Plays des Gegners, ermöglicht durch Patzer der Offense sowie der Defense, sorgten für Punkte. Auch diese Situation kommt mir aus Deutschland bekannt vor und mir wird wieder mal klar, dass in diesem verrückten Sport alles möglich ist, auch Kleinigkeiten haben eine große Auswirkung. Für mich persönlich gab es an diesem Spieltag jedoch ein ganz anderes Highlight: ich hatte meine erste Interception gefangen. Nur geholfen hat das letztlich leider nicht.
Was das Niveau des Trainings betrifft, so sei gesagt, dass reichlich Talent und Wille vorhanden sind. Ich komme allerdings nicht umher, die meisten Techniken als „oldschool“ zu bezeichnen. Bedeutet: viel Körperkontakt, auch ohne Schutzausrüstung und eher eine "klassische" Art zu tacklen. Getreu dem Motto "Wehret den Anfängen!" lasse ich mich aber voll darauf ein, es gilt neue Eindrücke zu gewinnen, aus seiner Komfortzone zu gehen und Erfahrung zu sammeln. Ganz besonders deutlich wurde mir der Unterschied als im November doch noch ein mexikanischer Gastcoach für einige Einheiten die Regie übernahm. Da in Mexiko auf hohem Niveau Football gespielt wird und genau wie in Deutschland viel direkt aus den USA übernommen wird, fühlte ich mich fast wie nach Freiburg zurückversetzt. Das durchgetaktete Training in einem höheren Tempo sorgte zusammen mit der zunehmenden Verwendung von englischen Begriffen (grundsätzlich haben die Spanier ihr eigenes Football-Vokabular) durchaus auch für Kopfschütteln bei meinen Teamkameraden. Und so war es ausnahmsweise nicht der Deutsche, sondern die Spanier, die nicht so ganz wussten was hier gerade vor sich geht. Alles in allem schaffte es der Gastcoach aber viel Wissen zu vermitteln und neue Spielzüge zu etablieren, was die Mannschaft sichtlich nach vorne brachte. Davon motiviert ging es zum nächsten Spiel nach Málaga.
Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dem was kam: Vor der spektakulären Kulisse der Berge bei Málaga regnete und hagelte es am Spieltag wie verrückt. "Football Weather" nennen das wohl die Amis, die Realität des europäischen "Herbstes" hatte uns Ende November doch noch eingeholt. Dass dann jedoch auch noch ein Gewitter aufzog, sorgte dafür dass das Spiel beim Stand von 0:2 für die Linces abgebrochen wurde. Und wieder einmal zeigte sich: von Panik keine Spur. Gelassen wurde weiter gespielt bis die Blitze in die umliegenden Wohnviertel einschlugen und sich die Schiedsrichter doch noch zu einer Unterbrechung haben hinreißen lassen.
Obwohl nun noch kein Sieg auf dem Konto meiner Mannschaft steht, freue ich mich auf die weitere Saison. Ich bin davon überzeugt, dass hier Großes entstehen kann und die Linces wieder zu altem Glanz zurückfinden können. Trotz der Unterschiede im Football hier und dort fällt mir auf: wir sind alle Teil einer großen Footballfamily, teilen Leidenschaft und Herzblut, trainieren hart und verpassen uns gegenseitig blaue Flecken, sind aber trotzdem gute Freunde. Dieser Sport verbindet, egal ob deutsch oder spanisch, pünktlich oder unpünktlich, arm oder reich! Um es in der Landessprache zu sagen: "Mi equipo - Mi familia", Meine Mannschaft - Meine Familie.